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Schüler gegen das Vergessen

Auschwitz Gedenktag 2018

Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus

Artikel über Robert Jablon von Leah Gass und Margit Sachse (im Stadtlexikon Darmstadt)

Mein Name ist…und das sind...und...Wir sind Abiturienten der Lichtenbergschule Darmstadt. Gemeinsam beschäftigten wir uns im Rahmen des Projekts „Schüler gegen das Vergessen für Demokratie“, unter der Leitung von Frau Sachse, insbesondere mit dem Verbrechen der Krankenmorde im NS-Staat und dem Schicksal von Kurt Bauer, der Opfer dieser Verbrechen wurde. Kurt Bauer war der Großonkel zweier Darmstädter Abiturientinnen. Seine Nachfahren haben uns gebeten, seine Geschichte vorzustellen.
-Alex

I Am 21. März 2016 wurde in Kelsterbach ein Stolperstein verlegt mit der Inschrift:
-Enno

“Hier wohnte Kurt Bauer/ JG. 1919/ Eingewiesen 1937/ Heilanstalt Scheuern/ “Verlegt” 18.3.1941/ Hadamar/ Ermordet 18.3.1941/ Aktion T4”
-Marlene

Stolpersteine - sie erinnern an Juden, an alle Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Zeugen Jehovas, Behinderte und andere von den Nazis als minderwertig diskriminierte und verfolgte Menschen.
Der Stolperstein vor dem Haus der Feldbergstraße 3 in Kelsterbach erinnert an Kurt Bauer. Wer war Kurt Bauer und weshalb wurde er am 18. März 1941 nach Hadamar gebracht und dort getötet? Was hat es mit der I“Aktion T4” auf sich?
-Alex

I T4 - Tiergartenstraße 4. Von dort aus wurde der Massenmord an Behinderten, Kranken und Alten ab April 1940 organisiert. Über 70.000 Menschen werden von Januar 1940 bis August 1941 in den Tötungsanstalten Grafeneck, Brandenburg, Bernburg, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein getötet.
-Enno

Der Glaube an eine “stärkere Rasse” oder “besser Angepasste” Rasse, existierte bereits vor der Machtübernahme Hitlers. Im Laufe der Geschichte wurde Darwins “Kampf ums Dasein” umgedeutet. Diskussionen über das Töten „lebensunwerten Lebens“ nahmen zu. Bereits 1922 forderten Ärzte eine Antwort auf die Frage, ob ein Arzt über den Tod eines Menschen entscheiden dürfe. Angeregt wurden diese „Diskussionen“ von Ärzten und Professoren verschiedener medizinischer Gebiete. In den Jahren der 1920er wird der Begriff der „Erlösung“ immer häufiger auftreten. In diesen Jahren wird auch das Töten von behinderten Kindern erstmals angesprochen. Es sind die führenden Fachleute der medizinischen Kreise, die sich immer mehr dafür einsetzen, dass das „eugenische Gedankengut“ in der Realität ausgeführt werden sollte.
An ihren Zielen werden die Nationalsozialisten 1933 anknüpfen und auf geringen Widerstand treffen, denn die Gesellschaft hatte die „Ideen“ und das „Gedankengut“ bereits akzeptiert.
Im Nationalsozialismus wird damit das Morden von Menschen begründet.
- Marlene


Die Verabschiedung des Gesetzes „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ unter den Nationalsozialisten am 14. Juli 1933, führte zur Zwangssterilisierung von über 400.000 erblich Kranken und anderen Menschen, die nicht in das Menschenbild der Nazis passten. Nach einer Meldung durch Ärzte oder anderen medizinischen Gruppen wurden die Betroffenen nach der Entscheidung eines sogenannten „Erbgesundheitsgerichts“ zwanghaft sterilisiert.
Am 18. Oktober 1935 wurde das Gesetz “zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes” erlassen. Dieses Gesetz untersagt Menschen mit einer Erbkrankheit oder geistigen Behinderung, eine Ehe mit, in den Augen der Nazis, „gesunden Menschen“ einzugehen. Es beginnt die Unterscheidung zwischen “minderwertigen” und “wertvollen” Menschen.
-Alex

II II II Mit seinem Ermächtigungsschreiben vom 1. September 1939 erteilte Hitler Ärzten die Befugnis über das Leben und den Tod von Betroffenen zu entscheiden. Am 4. Januar 1940 finden erste „Probevergasungen“ statt. Später weitet sich die sogenannte „Euthanasie-Zentrale“ aus und nennt sich nun „T4“. Diese soll geheim sein und gibt sich als „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten” aus.
- Enno

Der Mord an Kranken und Behinderten - die sogenannte „Euthanasie“, das bedeutet Gnadentod, ist im Nationalsozialismus Begriff für etwas Schönes, etwas Befreiendes. Die Ermordung wird im NS-Staat als „Erlösung“ ausgegeben. Doch verbirgt sich dahinter der Anfang der nationalsozialistischen Verbrechen, die in den Jahren des Nationalsozialismus im Deutschen Reich und in den von Deutschland besetzten Gebieten noch folgen werden. Verschiedene Tötungsmethoden wurden dort erprobt, bis sie sich für die Ermordung mit Kohlenmonoxid entschieden. Gaskammern und Gaswagen werden erstmals eingesetzt und münden später in Vernichtungslager, in denen die KZ-Häftlinge ermordet werden.
- Marlene

Die Täter - Wissenschaftler, Ärzte, Pfleger, Angehörige der Justiz, der Polizei, der Gesundheits- und Arbeitsverwaltung lebten ihre Leben nach dem Ende des NS-Regimes weiter. Ihre Mitarbeit erfolgte freiwillig. Den Angehörigen der Opfer blieb nichts als der Verlust eines geliebten Menschen. In Folge der Geheimhaltung wurden die Todesursache und der Ort der Tötung gefälscht. Die Ermordeten wurden nach ihrer Tötung verbrannt.
- Alex

Trotzdem war eine Geheimhaltung der Morde nicht möglich, denn Angehörige fragten nach den Schicksalen ihrer Verwandten. Proteste von Geistlichen gegen den Krankenmord und Unruhen in der Bevölkerung führten zu einem Stopp der „Aktion T4“ im August 1941. Vor allem durch Predigten des Bischofs Clemens August Graf von Galen, die auf die Verbrechen aufmerksam machten.
Und doch hielten diese Unruhen die Nationalsozialisten nicht von ihren Tötungen ab. Von den Nazis als „Lebensunwertes Leben“ degradiert, wurden weiterhin Menschen ermordet - durch Giftspritzen, Verhungern lassen oder unterlassene Hilfeleistung nahm das Morden seinen Lauf.
- Enno

I Unter diesen 70.000 Ermordeten ist auch Kurt Bauer, an den wir heute erinnern möchten.
Kurt Bauer ist der älteste von vier Söhnen. Geboren am 30. November 1919, zog er 1935 mit seiner Familie nach Kelsterbach. I Er war ein ganz normaler Junge, das Einzige, was ihn von den anderen unterschied war, dass er mit einer Kiefer- Gaumenspalte geboren wurde. Auf Grund dessen wurde er im Alter von 18 und 30 Monaten und 15 Jahren operiert. Eine nicht behandelte Kiefer-Gaumenspalte kann Ernährungsprobleme, Sprach- und Entwicklungsstörungen hervorrufen. Kurt konnte keine Schule besuchen. Seine Mutter wollte, dass er eine Lehre zum Gärtner macht. Doch dies war ihm nicht möglich, da der Gärtner, bei dem er die Lehre machen sollte, ein Sympathisant der Nationalsozialisten war. Er wurde abgelehnt.
- Marlene

Als sein Vater verstarb, war seine Mutter alleine mit vier Söhnen. Die Familie musste aus dem von der Enka-Glanzstoff, heute Akzo-Nobel, zur Verfügung gestellten Haus ausziehen. Sie ließ deshalb ein Haus mit großem Garten am 15. Februar 1937 bauen, der viel Platz für Kurt bot. I Selbst Erzieherin (Kindergärtnerin/ Gouvernante), bemühte Marie Bauer sich sehr um ihren Sohn Kurt. Mit gutem Gewissen schickte sie ihn in die “Erziehungs- und Pflegeanstalt” Scheuern der Inneren Mission, mit der Sicherheit, dass ihr Sohn dort gut gefördert und betreut werden konnte.
- Alex

Die „Erziehungs- und Pflegeanstalt“ Scheuern wurde im Rahmen der T4-Aktion eine
“Zwischenanstalt”, die wie normale Anstalten aussah. Dort blieben Patienten für einige Wochen, bevor sie in “Tötungsanstalten” kamen. Auch diese “Erziehungs- und Pflegeanstalt” schickte Mitte 1940 Meldebögen über die Bewohner an den “Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden”. Anhand der Meldebögen entschieden ärztliche Gutachter über das Leben und den Tod der Heimbewohner.
- Enno

Marie Bauer, Kurts Mutter, bekam einen sogenannten I “Trostbrief” mit der Todesnachricht von der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein. In diesem stand, dass ihr Sohn am 8. Mai 1941 an den Folgen einer Lungentuberkulose verstorben war. Dabei war Kurt nicht krank und die Todesursache ein Vorwand um die Wahrheit zu vertuschen.
Kurts Mutter war es nicht möglich den Leichnam ihres Sohnes zu sehen, da dieser laut der Pflegeanstalt eingeäschert werden musste. Bei allen Opfer der T4-Aktion wurden die Sterbeurkunden gefälscht, damit die Aktion vor den Verwandten unentdeckt blieb.
Also was geschah mit Kurt wirklich?
- Marlene

Am 18. März 1941 wurde er mit einem der grauen Busse nach Hadamar, eine sogenannte “Tötungsanstalt”, gebracht. Nachdem er von Ärzten gemustert wurde, wurden er und weitere 36 andere Personen aus Scheuern und 98 Personen aus Weilmünster von den Pflegern in die Gaskammer geführt.
I Kurt Bauer wurde im Alter von 21 in den Gaskammern von Hadamar ermordet.
- Alex

Dies war nicht der einzige Schicksalsschlag, den die Familie erleiden musste. I Der zweitälteste Sohn Heinz fiel im Krieg. Bilder zeigen, wie gut sich die Brüder verstanden haben müssen. Ein Schmerz, der unbeschreiblich ist. Der Krieg und die Verbrechen der Nationalsozialisten haben eine ganze Familie verändert. Eine glückliche Familie muss drei Schicksalsschläge verarbeiten und wird damit alleine gelassen.
- Enno

Die Opfer der Krankenmorde werden bis heute nicht als NS-Verfolgte anerkannt. Die Zwangssterilisation wurde inzwischen im Jahre 2007 vom Bundestag als „Ausdruck der menschenverachtenden nationalsozialistischen Auffassung vom lebensunwerten Leben‘“ anerkannt. Seitdem steht auch Überlebenden eine Entschädigung als Opfer des NS-Systems zu.
I An die Opfer der T4-Aktion erinnert heute eine Gedenkstätte in Hadamar.
- Marlene

Auch wir möchten heute an die Opfer der Krankenmorde während des Nationalsozialismus erinnern und an ihre Familien, die lange Zeit schwiegen. Es ist besonders wichtig, dass sie ihr Schweigen brechen, da es immer weniger Zeitzeugen und Berichte über das Grauen gibt.
Wir sind dankbar, dass sie uns durch ihr Erzählen ermöglicht haben, auf ein weiteres Verbrechen der Nazis aufmerksam machen zu können.
Noch heute sind psychische Krankheiten ein Tabu Thema und Behinderte müssen mit Stigmatisierungen in unserer Gesellschaft kämpfen, obwohl die Vergangenheit zeigt, was passiert wenn Menschen andere Menschen als “weniger Wert” ansehen.
- Alex

Wir danken insbesondere Frau Richter, die Nichte Kurt Bauers und der gesamten Familie Bauer für ihre Offenheit uns gegenüber und ihrer Bereitschaft ihr Familienschicksal mit uns zu teilen.
- Enno

Quellen: Download